„Als erste Aufgabe des Vollzuges darf sichere Verwahrung gelten. Aber Gitter und Mauern sind nicht die einzigen Mittel der Verwahrung. Wichtiger ist die Qualität der Beamten. Immer ist es notwendig, die uns übergebenen Menschen zu beobachten, sie gründlich zu kennen, richtig zu behandeln und mit Bedacht zu führen.

Das Kernstück des erzieherischen Auftrags im Strafvollzug wird immer das Vorbild des Erziehers sein. Es erschöpft sich nicht, wie man früher gemeint haben mag, in einer adretten Kleidung und straffen Haltung. Unerlässlich ist eine tadelsfreie Lebensführung.

Im Allgemeinen verfügen die Anwärter über eine gewisse Lebenserfahrung und Reife. Zum Teil berufen sie sich darauf, dass sie mit ihren „Knobelbechern“ durch ganz Europa gekommen sind. Noch beachtenswerter ist ein längerer Aufenthalt hinter dem Stacheldraht der Kriegsgefangenenlager. Diesen „Ehemaligen“ ist alles irgendwie vertraut. Aus eigenem Erleben können sie sich in die Lage der Gefangenen hineindenken. Sie haben es am eigenen Leibe gespürt, wie in einer bestimmten Art von Gemeinschaft sich der Horizont verengert, wie das Lebensgefühl verkümmert, das ganze Niveau sich senkt.“

 

„Vier Monate (schulische Ausbildung) sind für unseren Zweck ein allzu geringer Zeitraum. Gegenüber Hamburg-Rissen, wo man sich für den einfachen Dienst vielfach mit drei Wochen begnügte, was sicher viel zu wenig war, ist schon ein Fortschritt zu verzeichnen. Aber auch in vier Monaten kann der Anwärter nicht hinreichend in den Stoff eindringen, die meisten bleiben an der Oberfläche.

Es ist richtig, den Ausbildungszeitraum von vier Monaten in zwei Abschnitte zu zerlegen. Der eine Lehrgang dient der Einführung und Überschau, der zweite Lehrgang wird das wichtigste zu wiederholen haben.

Unterrichtet werden Geschichte und Erdkunde, auch Volks- und Staatsbürgerkunde. Die Staatsbürgerkunde wird nicht versäumen dürfen, die rechte Gesinnung auszubilden. Es gibt Beamte, die nicht den richtigen Begriff von der heutigen Staatsform haben.Weiter ist vorgesehen: Die Lehre vom Gesetz und Verbrechen, vom Vollzug und Gefängnis, von der Erziehung. Hier haben wir das Kernstück des gesamten Lehrstoffes vor uns.

Die Abweichung von der Norm also Psychopathie, Verwahrlosung und Kriminalität, lässt sich nicht besser darstellen, als durch eine Einführung in die Familie, in das, was die gesunde Familie leistet, die Kranke dagegen verdirbt. Die so aufgefasste Familienkunde begegnet bei den Schülern lebendigem Interesse. Hier werden sie am eigenen Lebensnerv berührt und angeregt, in ihrer natürlichen kleinen Umwelt aufmerksamer zu sein. Das kommt der Beobachtung innerhalb der Anstalt zugute.

Sodann ist die Wirkung der Haft zu schildern. Hier kommt es darauf an, sie als künstliche Situation zu kennzeichnen, in der auch der Gefangene leicht zum Kunstprodukt wird. Weiter ist es wichtig den klassischen Fehler zu bekämpfen, der innerhalb und außerhalb der Mauer weiterwuchert, die Verwechslung nämlich von Schein und Wirklichkeit von Verhaltensweise und Persönlichkeit“ 

 

Zur Ausbildung der Beamten des Aufsichtsdienstes hieß es in einem Aufsatz des späteren Präsidenten des Justizvollzugsamtes Rheinland, Dr. Rotthaus, im Jahre 1968:

„Seit Mitte vergangenen Jahres wird jeder Bewerber für den Aufsichtsdienst zu einer Auswahlprüfung geladen, die zwei Tage dauert. Neben dem Schulwissen, das durch genormte Schulleistungstests ermittelt wird, stellt der Psychologe das Intelligenzniveau des Bewerbers fest. Durch ein System ausgewählter weiterer Tests versuchen wir Klarheit darüber zu bekommen, ob der Bewerber den psychischen Belastungen der Arbeit im Vollzug gewachsen ist.

Zu den Eigenschaften, die bei einem Aufsichtsbeamten wünschenswert sind, will ich sagen, dass der Bewerber in einer einigermaßen harmonischen Umwelt leben und in der Lage sein muss, mit seinen eigenen Problemen fertig zu werden. Außerdem braucht er ein sicheres, gelassenes Selbstbewusstsein und die Fähigkeit sich durchzusetzen, ohne dabei aggressiv zu reagieren.

Die erfolgreichen Bewerber werden in Nordrhein-Westfalen zunächst als Hilfsaufseher im Angestelltenverhältnis nach Vergütungsgruppe IX Bundesangestelltentarif eingestellt.“

 

Bis zur Mitte des Jahres 1968 wurde an der Strafvollzugsschule nur jeweils ein Lehrgang unterrichtet. Wegen des Platzbedarfs für weitere Lehrgänge des Strafvollzugsdienstes wurde ab 1968 das frühere Amtsgerichtsgebäude in Wuppertal-Barmen als Ausbildungsstätte genutzt.

Aus einem Bericht des damaligen Schulleiters aus dem Jahre 1968:

„Für das Zusammenleben von drei Lehrgängen mit bis zu 75 Lehrgangsteilnehmern mussten andere Formen des Zusammenlebens gefunden werden. Dabei war zu berücksichtigen, dass jüngere Menschen heute eine straffe Disziplinierung ablehnen und der allgemeine Trend Richtung auf größere individuelle Freiheit geht. Während des letzten Jahres wurden u. a. neue Regelungen eingeführt:

a) Während die Lehrgangsteilnehmer früher jedes zweite Wochenende zu praktischen Dienstleistungen in der Anstalt herangezogen wurden, findet jetzt nur noch eine zweimalige informatorische Beschäftigung in der Justizvollzugsanstalt statt. Die übrigen Wochenenden sind dienstfrei.

b) Die für die Zeit von 17:00 bis 18:00 Uhr vorgesehen Eigenarbeit, die von Lehrkräften überwacht wurde, entfällt.

c) Der sogenannte „Zapfenstreich“ wurde von 22:30 Uhr auf 24:00 Uhr hinausgeschoben.“

 

Der neu ernannte Justizminister Dr. Dr. Neuberger hielt am 13. April 1967 eine vielbeachtete programmatische Rede, in der er seine Vorstellungen zur Reform des Strafvollzugs umriss.

Neuberger äußerte die Erwartung, dass Strafvollzug „von einem neuen und fortschrittlichen Geiste getragen werde“, das heißt „durch eine gesunde Mischung von notwendiger Härte und menschlicher Güte“. Die Verantwortlichen in Landes-, aber auch Bundesregierung hätten die Jahre des Wohlstandes nicht genutzt, durch Neu- oder Erweiterungsbauten Haftplätze in ausreichender Zahl zu schaffen. Auch sei versäumt worden, für eine angemessene Ausbildung des Vollzugspersonals zu sorgen und durch entsprechende Stellenvermehrung ein vernünftiges Zahlenverhältnis zwischen Personal und Gefangenen herbeizuführen.

Ausdrücklich nahm Neuberger die Vollzugsbediensteten gegen die Kritik der Öffentlichkeit in Schutz. Er wisse, dass sie ihre Arbeit unter äußerst ungünstigen Bedingungen zu leisten hätten. Zumindest eine Mitschuld an der feststellenden Nichtresozialisierung der Strafgefangenen treffe vielmehr die öffentliche Verwaltung.

Der derzeitige Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland habe sich nicht nur als unfähig erwiesen, seine Resozialisierungsaufgabe zu erfüllen, die Strafanstalten seien oft sogar „Schulen des Verbrechens statt der Besserung“. 

Ein drängendes Problem des nordrhein-westfälischen Strafvollzuges war der dramatisch hohe Fehlbestand an Haftplätzen. Obwohl Neuberger sofort nach seinem Amtsantritt als Justizminister Weisung erteilt hatte, durch entsprechende Umbauten in den vorhandenen Haftanstalten die Zahl der Haftplätze zu erhöhen und mit der Planung neuer Haftanstalten unverzüglich zu beginnen, hatte sich die Situation sogar noch weiter verschärft.

Neuberger sah sich daher zu einem Schritt gezwungen, der auch bundesweit für Aufsehen sorgte: Im August 1967 erließ er einen absoluten Vollstreckungsstopp, der jede weitere Neuaufnahme von Strafgefangenen in Haftanstalten des Landes untersagte. Neuberger reagierte damit auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm, der die Belegung einer Einmannzelle mit drei Gefangenen als menschenunwürdig bezeichnet, und damit für verfassungswidrig erklärt hatte.